5. Dezember 2021
Verrückte Vorbereitung, verrückte Anreise, verrückter Renntag. Der Weg zum dritten WM-Titel war steinig. Und auch wenn alle immer sagen "Das Ding hast Du doch im Sack" ist das nicht selbstverständlich. Der Erfolg kommt einfach nicht von alleine. Versprechen muss man einhalten: am 3. Oktober habe ich bei der Siegesfeier der Deutschen Meisterschaft in Kehl vor dem versammelten Stevens Racing Team und der Geschäftsführung gesagt, dass ich versuchen werde in 2 Monaten das Deutsche gegen das Weltmeister Trikot zu tauschen. Da konnte ich noch nicht ahnen, dass die Corona Pandemie eine größere Herausforderung werden könnte als Training, Betreuer-Planung und Vorbereitungsrennen. Regeländerung und Harakiri-Anreise 4 Tage vor der geplanten Abreise wurde aber alles extrem kompliziert durch neue Corona Einreise Verordnungen des Vereinigten Königreichs. Neben Regeln, Tests & Co. hatten wir natürlich auch die Gesundheit der Betreuer und uns im Hinterkopf. Aber Cindy und ich hatten für dieses eine Rennen hin trainiert und uns entschieden früher und auch alleine anzureisen. Zum Glück zeigte sich auch der Arbeitgeber flexibel und die Arbeitskollegen die eingesprungen sind - Danke an das gesamte Radsport von Hacht Team! Wir hatten vor Ort großartige Unterstützung von Sportsfreund Darren Atkins, der für uns Betreuer im Depot organisierte und auch sonst mit Rat & Tat zur Seite stand. Umso schöner, dass wir uns auch final das Podium teilen konnten! Dafür vielen Dank Darren. Also Dienstag 21:00 auf die Fähre nach 7:00 in der Schlafkabine Ankunft dann zum Express PCR Test 2h nach Cambridge gejuckelt, schlappe 70 € pro Person gezahlt, abwarten und zack wieder frei aus der Quarantäne. Streckencheck und Los(un)glück Dann das erste Mal auf die Strecke: bei Trockenheit ein schneller, flacher Kurs mit einer langer Startgerade, Wiese, einigen Hügeln + Treppe und einer Trailpassage im Wald. Wie das im Cross so ist, war die Strecke bei jedem Training anders. Am ersten Tag noch trocken, dann sukzessive immer feuchter bis hin zum richtigen Matsch nach einer Nacht Regen vor unseren Rennen. Mir und Cindy war klar, dass uns das in die Karten spielt. Bei einer Master WM wird die Startaufstellung ein Tag vor dem Rennen gelost. Cindy hatte Glück: Start Nr. 5 und in der jüngsten Altersklasse damit erste Reihe. Bei mir war es nicht ganz so vorteilhaft: Platz Nr. 51. Bei 104 Startern mehr oder weniger die Goldene Mitte. Bei den Masters ist es auch immer ein wenig eine Black Box im Starterfeld. Einige Namen kennt man, aber gerade unter den Briten fehlte mir das Bild der Titel-Favoriten. Der irische Meister startete von Platz 1, Darren Atkins von 65, Nick Craig als britischer Meister von 95. Darren ist mehrfacher Medaillen-Gewinner bei der Masters-WM, Nick war früher MTB-Profi und auch bereits Weltmeister der Masters. Darren berichtete von noch einigen anderen Fahrern, die auch bereits Titel geholt hätten, aber letztlich zeigt sich die aktuelle Form & der Vergleich immer erst im Rennen. Cindy's Rennen - was ist denn da los? Am Renntag dann 8 Uhr Streckencheck bevor es um 9 Uhr für Cindy an den Start ging. Gemeinsam mit der Perle nochmal die Strecke abgefahren und die neue Linie bei den gegebenen Verhältnissen gezeigt. Die Hügelpassage war durch den tiefen Matsch mittlerweile echt tricky, die engen Kurven zwischen den Bäumen im Wald ebenso. Für mich war klar: ich muss nach meinem Start so schnell wie möglich in die Spitze kommen, um bei diesen Streckenabschnitten nicht den Anschluss an die vermeintliche Spitze zu verlieren. Cindys Start lief ganz gut: nach der langen Gerade auf der Straße fuhr sie als Dritte in die erste Kurve auf der Wiese und lieferte sich einen Vierkampf mit drei anderen Damen. Da ich mich auch warm fahren (und warm halten) musste, hatten wir Rolle und Zelt quasi direkt an der Strecke aufgebaut. Runde um Runde das gleiche Spiel: runter von der Rolle - Frau angefeuert, Family & Friends mit aktuellem Rennverlauf versorgt und wieder rauf auf die Rolle. Nach der dritten von sechs Runden kam Cindy als zweite Frau vorbei - die Dritte aus dem Trek Cycling Team mit deutlichem Abstand. Nanu - was war da los? Madame macht es ja spannend heute. Nach Runde 5 konnte ich mich nicht mehr auf der Rolle halten und raste zur Trailpassage. Wenn sie dort safe raus kommt, ist das Podium sicher! Und da kam sie - nochmal mehr Vorsprung. Vorbei am jubelnden Depot rechts von der Strecke, ich auf der Wiese mit Vollgas und Videoaufnahme links von der Strecke. Was ich bis zum Ende meines Rennens nicht wusste: die erste Dame war aus einer anderen Altersklasse. Somit hatte ich den Weg der neuen Weltmeisterin begleitet. Mein Rennen: Vollgas, Defekt & Sieg Zum Ziel schaffte ich es nicht mehr, denn mein Start stand kurz bevor und wie ich feststellte hatte ich mir mit meiner Aktion einen Platten eingefahren. Also nochmal zum Auto, Reifen wechseln, wieder zurück zum Start. Was für eine Aufregung so kurz bevor es um die Wurst gehen sollte. Der Startschuss fiel und ich gab Vollgas. Quer durchs Feld, jede noch so kleine Lücke war meine, geschätzt ging ich als Zehnter ins Gelände. Ich nahm die erste Kurve möglichst eng, da vermutlich viele Fahrer im großen Bogen fahren würden. Heikles Manöver auf dem rutschigen Untergrund, aber der Plan ging auf. Ich konnte nochmal einige Plätze gut machen, ließ den irischen Meister hinter mir und fuhr nach 1,5km als Erster in die Trails. Diese erste Runde hatte mir schon so viel abverlangt, dass ich erst einmal Luft holen musste. In diesem Tempo hätte ich das Rennen unmöglich weiter fahren können, erst recht keine 50min.. Jetzt bloß keine Fahrfehler machen, Vorsprung halten oder ausbauen dachte ich mir. Dann Defekt in Runde 5: die Pedale hatte sich gelöst und eierte bereits. Halbe Runde quasi mit einem Bein gefahren, dann ins Depot und meine Ersatzbetreuer finden. Sollte kein Problem sein - die haben ja Neonwesten an, sollte fix gehen. Und dann kommt man da im Depot an und die tragen alle diese Westen! Ahhh... Gottseidank waren/sind es alte Hasen des Crosssports. Sie hatten mich im Blick und wir fanden uns. Rad gewechselt, kurze Info zum Defekt und weiter. Leider hatte ich auf dem Wechselrad nicht mehr die griffigen Matschreifen und musste eine neue Linie finden. Kostete Zeit, dennoch konnte ich den Vorsprung bis zur letzten Runde halten. Ich nahm etwas raus - jetzt nichts mehr riskieren. Das Ding nach Hause fahren und gut. Und so kam es: unter Applaus & Jubel der Briten konnte ich ins Ziel fahren und hatte es geschafft. Das ganze Training morgens vor der Arbeit, abends nach der Arbeit, am Wochenende; die Rennen zur Vorbereitung, Diät, der ganze Hickhack mit Coronaregeln, Anreise etc. sind nicht umsonst gewesen. Der dritte Weltmeistertitel ist gewonnen.