Der Renntag rückte näher und ich war nervös. Nicht nur ein bisschen sondern so richtig. Welches Rad nehme ich zuerst? Warum ist der Rennanzug plötzlich zu eng, wie sch*** sieht es eigentlich mit den Beinlingen aus usw. usw..
Das Schweigen der Crossfahrer
Während ich anfange zu fluchen und irgendwann einfach gar nichts mehr sage, wird Jens ebenfalls immer ruhiger. Ungewöhnlich, sehr ungewöhnlich für den großen Meister.
Im Dunklen, bei Regen und 2 Grad fahren wir zur Rennstrecke und schweigen uns an. Ab 8 Uhr durften wir ein letztes Mal auf die Strecke, dann sollte es losgehen. Ich drehte mit Jens eine Runde: „Immer vom Grün der einen Seite zum Grün der anderen Seite. Nicht in der Spur fahren, dann rutscht Du auch nicht.“ Aha. Ich bin aber doch nicht allein auf der Strecke, aber egal. Der Kurs war bei den Hügeln so matschig dass ich auf Anhieb nicht mehr durchfahren konnte. Großartig. Die Trails im Wald hatte ich im Sack trotz Matsch. Plötzlich waren auch jede Menge andere Damen unterwegs, die ich zuvor noch gar nicht gesehen hatte. Aber waren die flott unterwegs?! War jetzt auch egal.
8:50 Uhr Startaufstellung & los geht's
Jeder der Rennen fährt kennt das – diese grässlich langen Minuten die man am Start steht und nichts passiert. Bisschen Plauderei, bisschen gegenseitiges Begutachten, die Helfer nehmen die Sachen ab und der Kommissär sagt irgendwann „In den nächsten 30 Sekunden ertönt das Startsignal.“
Attacke, alles was geht. Auch wenn ich eigentlich nicht so gut sprinten kann, klappt der Start gut, vielleicht bisschen zu gut. An der Spitze kann ich nicht bleiben und fahre schließlich als Vierte auf die Wiese.
Beim Tempo der anderen kann ich mithalten. Nicht überziehen, vielleicht mal ne Runde gucken was die so machen denke ich. Bis zur Hürde – dort fliegt bereits die Erste in den britischen Matsch. 1a wenn die anderen sich auch noch selbst eliminieren, wird das ja was. Spaß beiseite, die Dame war fix wieder auf dem Rad, konnte weiterfahren und holte wieder auf.
Ich lieferte mir den ein oder andern Zweikampf mit Katy aus dem Trek Team und blieb erstmal am Hinterrrad. Die Hügel mit all dem Matsch nahmen wir in moderatem Tempo, die Trails fuhr sie gut, bei mir wäre aber mehr möglich gewesen. Aus dem Wald heraus, am Depot entlang und zurück zur Startgeraden fuhren wir im vollen Wind. Zunächst ich hinter ihr, irgendwann fuhr ich vorbei und versuchte im Wind nicht zu überziehen, los wurde ich sie aber auch nicht. Wieder im Gelände war mal die eine, mal die andere vorne. Eine Dame an Position eins konnte sich nach einiger Zeit absetzen. Egal, wir fuhren um die Podiumsplätze. Das war mehr als ich erwartet hatte.
Irgendwo in Runde 2 war der Punkt, wo das Trek Trikot das Hinterrad des STEVENS verlor. Jetzt bloß keinen Defekt, mal Luft holen, bisschen raus nehmen, paar Kräfte sammeln, wer weiß ob meine Mitstreiterin nicht doch noch den Turbo zündet.
Mick Ives von unserem neuen Betreuerstab war mit seinen 82 Jahren und sagenhaften 81 (!!) britischen Meistertiteln hier und da an der Strecke und beobachtete das Treiben.
Nun stand er an einer eher ruhigen Stelle und murmelte mit arg rollendem R „Great riding Cindy. Verrrry clear, all very clearrr, no worries.“
Gut, wenn er das sagt, ist es wohl so. Hier und da sah ich das gelbe Trek nochmal hinter mir, Jens aus seinem Fahrerlager rief mir Abstände zu (und ich brüllte zurück er soll sich gefälligst warm fahren) , aber zu Ende ist das Rennen erst im Ziel. In Runde 5 fühlten sich die Beine an wie Blei, das Rad war ähnlich schwer und ich kam kaum noch die matschigen Hügel hoch. Die Engländer jubelten bei jeder Bodenwelle die Frau führ, was in so einem Moment irgendwie ganz beflügelnd sein kann.
Letzte Runde: halluziniere ich schon oder ist das Trek Trikot dichter gekommen?! Jetzt oder nie, nochmal alles was geht, noch eine Runde ist das zu schaffen, auch wenn mittlerweile schon fast 50min. gefahren sind. Die sieht mich heute nur noch von hinten. Also nochmal mit Tempo durch den Matsch und siehe da – es rollt wenn man davon noch sprechen kann. Das Trek kommt nicht mehr.
Ab auf die Zielgerade - ist das real?
Hinter dem Trailwald steht Jens mit seinem Rad & Handy an der Strecke und broadcastet vermutlich den Lauf der Dinge in die Welt. Und nicht nur das: er gibt Gas und fährt neben mir her und ruft „Du bist live, du bist live.“
Am Depot vorbei jubeln die drei Freunde von Mick, vermutlich 60, 70 und 80 Jahre alt mit dem Bertramschen STEVENS in der Hand „Well done, well done, verrry clear.“ Noch zwei, drei Kurven auf der rutschigen Wiese und es geht auf die Zielgerade. Ist das zu fassen? Ich kann das gar nicht glauben, irgendwo muss ein Haken sein. Hätte ich mehr Gedanken auf einen Sieg und überhaupt dieses ganze Rennen verwendet, hätte ich in dem Moment auch mehr realisiert was da gerade passiert. Ich freue mich natürlich, jubele ein wenig und bin im Ziel.
Um mich herum keine andere Fahrerin, dafür aber wie aus dem Nichts eine freundliche ältere Dame mit UCI-Pass, die mir mitteilte sie würde mich jetzt zur Doping-Kontrolle begleiten.
„Waaaas?? Und wie lange dauert das? Mein Liebster startet in 15 min., da muss ich am Start stehen. Kann das nicht warten?!“
„I am sorry darling but you must come with me now, this all may only take about thirty minutes.“
Blutsturz. Nicht deren Ernst. Ganz ehrlich was soll ich denn genommen haben? Keine Verhandlung möglich.
Nach einigem Hin und Her marschieren wir im Stechschritt zum Dopinghäuschen irgendwo am anderen Ende des Parks. UCI-Rosie erzählt mir sehr liebenswert, sie ist eigentlich Lehrerin, war noch nie zuvor bei einem Cross-Rennen, geschweige denn ist sie mit den Abläufen vertraut.
Im Doping-Häuschen wartet der Herr mit den Probenbechern und erklärt mir im Detail den Ablauf. Ist mir ziemlich egal, ich unterschreibe was mir vor die Finger kommt, solange es nur schnell geht!
Die nächste Dame begleitet mich aufs Klo und ich soll diesen Becher wenn möglich voll machen. Ganz ehrlich: erst muss man sich beim PCR-Test mit einem Stäbchen bis ins Hirn wühlen lassen damit man sich frei bewegen darf, jetzt muss ich unter Aufsicht in nen Becher machen, damit ich das Klohaus wieder alleine verlassen darf.
Und so hocke ich da und es kommt – na klar nichts! Ist das die Möglichkeit! Jens fährt vermutlich schon und ich hocke hier. Ich meine, wie soll das auch gehen? Frau rennt vorm Rennen 100 Mal aufs Klo und schwitzt 60 Minuten. Ich trinke 1,5l eiskaltes Wasser, ohne Effekt. Damit die anderen auch noch zu ihrer Probe kommen, bietet das Team an, dass ich in Begleitung von Rosie wieder zurück zur Strecke gehe und wir nach Jens Rennen wiederkommen.
Hervorragende Idee! Rosie?! Wir gehen!
„And by the way, they cleared the results. The lady in front of you is of another age group. Congratulations your are a world champion!“ Alle gucken mich mit freudigem Blick an und erwarten vermutlich dass ich in großem Jubel ausbreche.
„Ahm well are you sure? This is all really unexpected. Thank you very much. Can we leave now??“
Zack raus aus der Hütte, ich würde laufen, das kann Rosie aber nicht. Mit so einer Aktion hatte die Gute auch nicht gerechnet, als sie sich als Helferin gemeldet hatte. Aus der Ferne sehe ich das weiße Trikot hier und da an der Strecke, kann aber nicht sehen was drum herum passiert.
35 min. nach Jens Start stehe ich wieder an der Strecke. Jens führt undzwar nicht nur ein bisschen sondern deutlich.
Na Gottseidank. Ich will zu einem anderen Stück der Strecke aber Rosie im Schlepptau will nicht über die Absperrung steigen und allein lassen darf sie mich ja nicht. Herrje das ist aber auch ein Theater. Mit dem kalten Wasser intus, vielleicht 5 Grad und den feuchten Klamotten an, ist mir mittlerweile so kalt, dass Rosie mir ihre Jacke gibt und wir nen Tee kaufen. Die Hälfte des Tees landet vor lauter Zitterei auf der Wiese, während Jens auf die letzte Runde geht. Der Abstand zum zweiten ist riesig, an dritter Stelle folgt Darren, der uns bei der Orga und vor Ort mit seinem Team so geholfen hat. Mega!
Wir gehen zum Ziel und warten auf den Mann im weißen Einteiler. Es dauert nicht lange und er fährt, etwas geübter im Jubeln als ich, über die Ziellinie. Weltmeister! Der dritte Titel ist im Sack!
Die Mission Weltmeisterschaft ist abgeschlossen: das ganze Training hat sich gelohnt, diese ganze Harakiri-Aktion ist aufgegangen!
Der große Rennfahrer bekommt seinen Siegerkuss, Rosie schießt ein Foto, Mick kommt zum gratulieren, Nick als Zweiter gratuliert, ebenso Darren. Eine tolle Stimmung. Alle sind happy dass es geschafft ist.
Und ich? Ich werde wieder zum Klohäuschen abgeführt. Gleiches Spiel nochmal, dieses Mal ist das ganze Procedere nach 5 Minuten erledigt.
Zurück am Bus gibt der frischgebackene Weltmeister Interviews und wird nach Autogramm-Karten gefragt. „Impressive riding man, impressive riding.“ Heißt es immer wieder. Und recht haben sie: während eine gute Platzierung bei den Damen zwar kein Selbstläufer ist, ist es aber vermutlich um einiges leichter als bei den Herren. Frau arbeitet sich nicht durch hunderte Starterinnen, darunter Ex-Profis, die mit dem Messer zwischen den Zähnen fahren als gäbe es kein Morgen. Über alle Altersklassen hinweg gab es laut Veranstalter 15 Teilnehmer, die aufgrund der Corona-Regeln von ihrem Platz zurück getreten sind. Eine verschwindend geringe Zahl.