Meisterschaften haben ihre eigenen Gesetze heißt es. Ich glaube da ist was dran. Und dass es „leicht“ ist einen Titel zu gewinnen, ihn zu verteidigen aber deutlich schwerer, hätte ich zuvor auch nicht geglaubt. Man kennt doch das Ganze Zipp & Zapp drumherum schließlich.
So oder so – die Titelverteidigung stand in diesem Jahr in England auf der Agenda. Nachdem die Europameisterschaft kurz nach überstandener Corona-Infektion ziemlich bescheiden gelaufen war, machte ich mir wenig Hoffnung. Die Kraft war irgendwie abhanden gekommen und wollte auch nicht zurück kommen. Intervall-Training war zäh und hatte jedes Mal irgendwie Nachwirkungen. Dazu muss auch noch der Job bewältigt werden, der in dieser Zeit des Jahres eigentlich keinen Raum für Training lässt. Egal – die Fähre ist gebucht, der Startplatz ebenso, also musste es auch losgehen.
Die Gegnerinnen kenne ich bis auf eine Niederländerin nicht, wie immer ist das Feld also eine Black Box.
Also Startaufstellung, auf die Plätze fertig los! Die Niederländerin Laura, die ich schon bei einigen Rennen hinter mir lassen konnte, fährt los wie die Feuerwehr, einige Britinnen hängen sich dran, ich bin irgendwo dazwischen. Ich weiß ich muss vor den Hürden möglichst weit vorne sein, hier hatte es in anderen Rennen immer wieder Stürze gegeben. Und wenn nicht dort, dann spätestens im Sand. Ich komme gut über die Hürden und durch den Sand und wir können uns zu dritt absetzen. Laura fährt vorweg, ich direkt am Hinterrad, die Litauerin Elvita hinter uns versucht vorbei zu fahren hier und da. Das Tempo in der zweiten Runde ist ok. Ich könnte vorbei fahren und versuchen mich abzusetzen, ich traue dem Frieden jedoch nicht und bleibe wo ich bin. Und so ziehen wir unsere Runden, mal ist die eine vorne, mal die andere. Auf der Zielgerade versucht Elvita in Schlangenlinien uns zum vorbei fahren zu motivieren, das passiert jedoch nicht, zumal es dort ordentlich Gegenwind gibt. Dass gerade auch dieser Part der Strecke Kräfte kosten würde, muss jedem bereits bei der Streckenerkundung bewusst geworden sein. Warum die beiden um mich herum sich gegenseitig mit ihren Battles das Leben dort schwer machen, verstehe ich nicht so recht.
Vorletzte Runde: Jens brüllt ich soll fahren, ich bleibe wo ich bin. Das Tempo ist hoch, ich müsste eine solche Attacke fahren um die beiden abzuschütteln, dass mir ein wenig die Fantasie fehlt, wie und wo mir das gelingen könnte. Vor den Trails zieht eine Dame aus den Ü40 in halsbrecherischer Manier vorbei. Elvita und ich fahren mit. Diesen Abschnitt war ich unzählige Male vorab gefahren und wusste wie die Kurven zu nehmen sind, wo zu schalten ist, wo ein Hölzchen auf dem Boden liegt. Aber: KONZENTRATION! Gen Ende eines Rennens gar nicht mehr so leicht. Die Niederländerin verpasst den Zug und fällt zurück. Aus dem Wald heraus ist die Lücke da. Um jetzt im Gegenwind wieder aufzuschließen, müsste sie richtig Gas geben. Es gelingt ihr nicht.
Letzte Runde: Elvita vor mir gibt scheinbar alles und versucht weg zu fahren. Jetzt bloß keinen Fehler machen und nicht abreißen lassen. Jens schreit aus dem Depot „Zum Sprint nicht vor fahren! Nicht voraus fahren!!“ Gottseidank versteht meine Mitstreiterin das nicht und natürlich weiß ich wie man sich im Zielsprint verhält. Wir biegen auf die Zielgerade ein, ich bin am Hinterrad, das Tempo ist hoch, die Beine brennen. Ich warte auf den Moment wo meine Mitstreiterin aus dem Sattel geht – er kommt nicht. Ich muss fahren. Ich weiß nicht mehr genau wo auf der langen Zielgeraden es war, aber die Attacke konnte sie nicht mehr mitgehen und Zack: der Titel ist verteidigt.
Während es im vergangenen Jahr die physische Übung war und ich alleine meine Runden zog, war es in diesem Jahr der Kopf, der den Sieg nach Hause brachte. Beobachten, taktieren, gelassen bleiben und nicht die Nerven verlieren. Bei einer Weltmeisterschaft wahrlich leichter gesagt als getan.
.Jens Rennen zuvor war für mich ziemlich nervenschonend: Start – Ziel – Sieg. Klarer und schöner hätte es nicht sein können. Gottseidank musste ich bei meinem Rennen nicht am Rand stehen. Für Jens im Depot war es scheinbar recht aufregend. Vermutlich war es auf der Gegengerade gar nicht der Rückenwind sondern der Fön meines brüllenden Mannes, der uns nach vorne schob. :-D
Nun fallen mir 1000 Tonnen Last von den Schultern. Das Saison-Ziel ist erreicht! Wir fahren mit neuen Medaillen, Regenbogen-Trikots aber auch Christmas Stories, englischem Weihnachtsgebäck und noch anderen schönen Dingen nach Hause und genießen nun ein wenig mehr die Vorweihnachtszeit.